Pandemie, Krieg & Klimakrise – verheerend für Kinder & Jugendliche
Was zahlreiche Studien weltweit bereits belegt haben, manifestiert sich nun auch in Österreich. Hier hat die Studie »Jugend in Österreich« im Sommer 2022 gezeigt, dass neben den zum Teil verheerenden Folgen der Coronapandemie auch der Krieg in der Ukraine und die Klimakrise eine schwere psychische Last für viele Kinder und Jugendliche sind.
Die Meldung in der New York Times konnte aufrüttelnder nicht sein: demnach sanken in den USA die Lernleistungen in Mathematik und Lesen so stark wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr.
In Deutschland wiederum zeigen Studien einen deutlichen Anstieg bei Depressionen bei Mädchen und Adipositas bei Buben. Wobei Kinder aus einkommensschwachen Haushalten sind in beiden Erhebungen besonders betroffen sind.
In Österreich wurde die aktuelle Stimmungslage der 14 bis 29-Jährigen erhoben, das Ergebnis war auch hier eindeutig. Jeder Dritte ist unzufrieden mit seinem eigenen Leben. Die größten Sorgen sind das Geld, die Gefahr eines Krieges in Europa, der Klimawandel, schlechte berufliche Aussichten und die eigene psychische Gesundheit.
COVID: die Folgen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche
Die bissher mehr als 30 Monate andauernde COVID-19-Pandemie hat direkt und indirekt potenziell großen Einfluss auf die Gesundheit und Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen.
Nun liefert die Auswertung von Abrechnungsdaten von rund 782.000 Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren, die bei der deutschen Krankenkasse DAK-Gesundheit versichert sind ein eindeutoges Bild.
Demnach sind bei Depressionen die Behandlungszahlen von 15- bis 17-jährigen Mädchen im Vergleich zum Vor-Coronavirus-Jahr 2018 um 18 Prozent gestiegen. Bei den Zehn- bis 14-Jährigen waren es den Angaben zufolge sogar 23 Prozent.
Mit der steigenden Zahl neu an einer Depression erkrankter Teenager-Mädchen erhöhte sich auch die Verschreibung von Medikamenten stark.
So stieg der Anteil der 15- bis 17-jährigen Mädchen mit einer Antidepressiva-Behandlung nach DAK-Angaben 2021 um 65 Prozent im Vergleich zu 2019. Auch im Falle der medikamentösen Behandlung von Essstörungen und Angststörungen seien die Zahlen 2021 stark um 75 beziehungsweise 19 Prozent nach oben gegangen.
Waren es bei den Mächen vor allem psychische Probleme, so hat sich bei den männlichen Jugendlichen die Krise im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen geschlagen.
Bei ihnen stieg allerdings die Zahl der Kinder mit starkem Übergewicht.
In der Altersgruppe der Fünf- bis Neunjährigen stiegen die Adipositaszahlen 2021 zwar insgesamt um 14 Prozent, Buben waren aber stärker betroffen. Bei den 15- bis 17-jährigen Jungen gab es sogar 15 Prozent mehr Adipositas, bei den Mädchen dieser Altersgruppe sechs Prozent mehr. Sowohl bei Depressionen bei Mädchen als auch bei Übergewicht bei Buben zeigte sich, dass Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten stärker betroffen waren.
Auch in Österreich schlagen Experten Alarm. Barbara Haid, Präsidentin des Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP), in Sachen psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen fordert „Taten statt Warten“ ein.
Mittlerweile leide jeder zweite junge Mensch in Österreich an depressiven Symptomen. Stress, Suizidgedanken, Angstsymptome, Schlafstörungen und ein problematisches Konsumverhalten haben seit Ausbruch der Pandemie massiv zugenommen.
Gleichzeitig herrscht in Österreich ein eklatanter Facharztmangel an Kinder- und Jugendpsychiatrien.
Vor allem in Wien spitzt sich die Lage zu. Situationen, die für Patientinnen und Patienten oder das Personal gefährlich werden können, kommen immer häufiger vor. Das berichten zumindest Angehörige und betroffene Ärzte. Letztere tun dies bislang allerdings nicht offen, denn das ist nur mit Erlaubnis der Presseabteilung des Wiener Gesundheitsverbunds (Wigev), des Trägers der Krankenhäuser, erlaubt.
Fest steht, dass es 890 Betten für die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in Österreich geben sollte. Nach Angaben der Gesundheit Österreich GmbH (Gög) waren es 2020 allerdings gerade einmal 349.
Auch außerhalb der Krankenhäuser fehlt es an Anlaufstellen: es sollte 36 kinder- und jugendpsychiatrische Ambulatorien geben, tatsächlich sind es laut Gög gesichert offenbar nur zwölf (letzte Erhebung war 2017).
Der Mangel in der Jugendpsychiatrie produziert chronisch Kranke, darüber sind sich Experten einig. „Wir produzieren durch diesen Mangel chronisch kranke Erwachsene“, ergänzte Helmut Krönke, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Jugend in Österreich 2022: aufrüttelndes Studienergebnis
Im Auftrag der lifeCREATOR Consulting GmbH von Heinz Herczeg wurden im Juni und August 2022 durch das Forschungsinstitut marketagent 800 Teilnehmer:innen in Österreich zu ihrem Befinden befragt, davon 32 Prozent im Alter von 14 bis 19 Jahren und 68 Prozent im Alter von 20 bis 29 Jahren.
Die Ergebnisse zeigen, dass es einem Drittel nicht so gut geht: Nur 66 Prozent geben an, „mit ihrem eigenen Leben zufrieden zu sein“, obwohl Österreich zu den reichsten und sichersten Ländern der Welt zählt. 59 Prozent der österreichischen Jugend sind mit der finanziellen Lage „teilweise bis sehr unzufrieden“ und 39 Prozent „mit den beruflichen Chancen“.
60 Prozent der jungen Männer sind „mit ihrer psychischen Gesundheit zufrieden“, aber nur 50 Prozent der Frauen. 19 Prozent geben an, dass sie deswegen „Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen“. Ein besonders aufrüttelndes Studienergebnis ist, dass 7 Prozent „Suizidgedanken haben“, sogar 12 Prozent in Wien, im Vergleich zu 3 Prozent in Vorarlberg und Tirol. 15 Prozent „leiden unter Angstzuständen“.
„Jetzt müssen wir uns bewusst um unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen kümmern!“
Gemeinsam mit dem Jugend- und Zukunftsforscher Simon Schnetzer und dem Sozial-, Bildungs- und Gesundheits-Wissenschaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, beide seit über 10 Jahren Autoren der Studien „Jugend in Deutschland“, will Studien-Initiator Heinz Herczeg tiefer in die Seele der 14-29-jährigen Österreicher:innen blicken:
„Mit meiner neuen Studie möchte ich das Scheinwerferlicht auf die Sorgen und Bedürfnisse unserer jungen Generation werfen. Während Corona standen verständlicherweise die Kranken und Alten im Mittelpunkt der Gesellschaft und Politik, aber jetzt ist es höchste Zeit, unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewusst zu unterstützen“.
Zu den größten Belastungen der 14-29-jährigen Österreicher:innen zählen „Stress, Erschöpfung, Selbstzweifel und Antriebslosigkeit“. Bei den jungen Frauen liegen die Werte jeweils zwischen 15 und 20 Prozentpunkten höher als bei den Männern. „Keine Belastung“ fühlen 22 Prozent der befragten Männer, aber nur 15 Prozent der Frauen.
Die Psychotherapeutin und Ärztin Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger sieht die Gründe für die stärkere Sorgenlast der Frauen darin, „dass sich junge Frauen im dritten Lebensjahrzehnt beruflich wie privat in einer weichenstellenden Periode befinden, um auch einen späteren Kinder- und Familienwunsch zeitgerecht in geeignetes Fahrwasser zu steuern, während jungen Männern hier einige Jahre mehr zur Verfügung stehen.
Die gravierenden Einschränkungen der Covid-Jahre haben damit mehr Wucht auf die weiblichen Vertreterinnen dieser Altersgruppe und die Entwicklung ihrer Lebenspläne entwickeln können.“ Weiters führt sie aus: „Frauen werden immer noch gesellschaftlich stark über ihre Körperlichkeit definiert.
Die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen haben sich vor allem für die Gruppe der jungen Mädchen besonders belastend im Hinblick auf die Ausbildung von Körperbildstörungen und Essstörungen ausgewirkt. In den Lockdown-Phasen kam es zu einer Überschwemmung von mit Photoshop konstruierten Idealimages bei gleichzeitigem Verlust eines ‚Realabgleichs‘ in Schule und Lehrbetrieb, was zahlreiche junge Mädchen in Selbstzweifel und manifeste Störungen getrieben hat.“
Chance für positive Veränderung
Unterstützung bei psychischen Problemen holen sich 31 Prozent der Jugendlichen „in Gesprächen mit Familien und Freunden“, gefolgt von „psychischer Behandlung (Arzt, Therapeut)“ mit 19 Prozent und „Yoga/Meditation“ mit 14 Prozent. „Schulische Betreuungsangebote“ oder „Telefonberatung“ nehmen nur 6 bis 7 Prozent wahr.
Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger: „Diese Zahlen zeigen einmal mehr die Wichtigkeit des Gesprächs mit Familie und Freund:innen, etwa bei einem gemeinsamen Essen oder Spaziergang. Hier finden junge Menschen Sicherheit, Akzeptanz und Zugehörigkeit, was maßgeblich für die psychische Gesundheit und das Zufriedenheitsempfinden ist. Gleichzeitig wird an diesen Ergebnissen sichtbar, dass endlich ernsthafte Anstrengungen zu setzen sind, um schulische Betreuungsangebote für SchülerInnen auch attraktiv und tatsächlich unterstützend zu gestalten, denn Schule ist der Ort, an dem Zukunft gestaltet wird.“
So sind die Aussagen der Studie schlüssig, dass der größte Sinn im Leben (64 Prozent) „meine Familie“ ist, gefolgt von „Partnerschaft/Liebesbeziehung“ (54 Prozent), „Freundschaften pflegen“ (51 Prozent) und „Ziele im Leben“ (51 Prozent). Erst danach kommt „Ein Job, der mir Spaß macht“ mit 45 Prozent.
„Es ist bereits fünf vor zwölf. Wir müssen handeln und tiefgreifende Veränderungen in Kauf nehmen, um eine neue, lebenswertere Zukunft zu gestalten“, so der Initiator der Studie Heinz Herczeg.
Die Forderung der österreichischen Jugend nach positiver Veränderung sei ihm zufolge groß. Er resümiert: „Jede Krise ist gleichzeitig eine Chance.
Unternehmer:innen, Bürgermeister:innen, Politiker:innen, Schul- und Universitätsleiter:innen, Familienmitglieder und Privatpersonen sind dringend aufgefordert, sich mit unserer jungen Generation intensiv auszutauschen und zuzuhören, um sie bedarfsgerechter zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ihre positive Entwicklung konsequent zu verbessern. Wir alle tragen Verantwortung für das ganzheitliche Wohlergehen der neuen Generation, denn diese ist ausschlaggebend für unser aller Zukunft.
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Quellen:
¹ DAK-Kinder- und Jugendreport 2022
² Details der Studie „Jugend in Österreich 2022“
³ Pressemitteilung | lifeCREATOR CONSULTING
Zusatzliteratur:
– Das war’s? Die Pandemie und die Auswirkungen auf Klima und Umwelt (magazin.gesund.co.at)
Linktipps
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