Enuresis
Kindliches Bettnässen erkennen, behandeln, heilen
Kinder ab fünf Jahren nässen nachts nicht mit Absicht ein. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Entwicklungsstörung, von der circa 15 und 20 Prozent aller 5-Jährigen betroffen sind. Jungen leiden häufiger an Enuresis als Mädchen. In Österreich erkranken 60.000 Kinder an Enuresis. Lange Zeit galt das nächtliche Einnässen als gesellschaftliches Tabu. Seit der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört diese Erkrankung zu einer definierten Entwicklungsstörung, die mithilfe einer medikamentösen und psychosozialen Behandlung therapiert werden kann. Erfahren Sie hier mehr zur Diagnostik und Therapie von Enuresis.
Was ist Enuresis?
Es handelt sich hierbei um eine Erkrankung, die laut WHO professionell zu behandeln ist. Normalerweise erreichen Kinder zum Ende des fünften Lebensjahres eine körperliche und seelische Reifung, die es ihnen ermöglicht, ihre Blase willkürliche zu kontrollieren. Dieser Entwicklungsschritt beginnt meist zwischen dem zweiten und vierten Geburtstag. Liegt der Reifungsgrad nicht vor, kommt es zum nächtlichen Einnässen (nächtliche Inkontinenz). Ärzte führen als Ursache für Enuresis in den meisten Fällen eine genetisch bedingte Störung der kindlichen Reifung zugrunde. Mitverantwortlich hierfür ist das zentrale Nervensystem als Schaltzentrum für essenzielle Körperfunktionen. Wenn ein Elternteil an Enuresis litt, liegt die Wahrscheinlichkeit bei fast 50 Prozent, dass auch das Kind von primärer Enuresis betroffen ist. Das Risiko liegt jedoch bei rund 75 Prozent, wenn beide Eltern diese Entwicklungsstörung aufwiesen oder aktuell noch haben.
Diagnose von Enuresis
Nässen Kinder nachts ein, sollte eine ärztliche Anamnese durchgeführt werden. Anhand folgender Merkmale lässt sich Enuresis diagnostizieren:
- Das Kind hatte bereits seinen fünften Geburtstag.
- Grundlegende organische Erkrankungen sind auszuschließen.
- Medizinische Begründungen (beispielsweise Harnwegsentzündungen) treffen nicht zu.
- Pro Monat nässt das Kind mindestens drei Mal nachts ein.
Was ist primäre Enuresis und sekundäre Enuresis?
Kinderärzte unterscheiden zudem zwischen primärer und sekundärer Enuresis. Neben den oben aufgeführten Merkmalen geht die primäre Form häufig mit einigen der nachfolgenden Kennzeichen einher:
- Kind schläft nachts sehr tief und lässt sich nur sehr schwer aufwecken.
- Nachts scheidet das Kind große Mengen an Urin aus.
- Tagsüber funktioniert der Gang zur Toilette ausnahmslos.
- Nur vereinzelt ist das kindliche Verhalten von psychisch auffälligen Symptomen geprägt.
- Im Vorfeld war das Kind nachts niemals mehr als sechs Monate trocken.
Im Gegensatz dazu verursachen psychische Ursachen typische Symptome der sekundären Enuresis. Hierbei beginnt das nächtliche Einnässen, nachdem das Kind für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten trocken war. Hauptsächlich ist diese Form der Entwicklungsstörung urologischen Krankheiten beziehungsweise psychischen Beschwerden zuzuschreiben. Typische Auslöser für die sekundäre Enuresis sind:
- Tod eines näheren Verwandten
- elterliche Scheidung
- Geburt von Geschwisterkind
- schulischer Stress
- familiäre Gewalt (physischer oder psychischer Art)
- Vernachlässigung
- traumatische Ereignisse wie beispielsweise ein Unfall, außerplanmäßiger Krankenhausaufenthalt, Mobbing
15 Prozent der betroffenen Kinder werden innerhalb von zwölf Monaten ohne professionelle Intervention von selber wieder trocken, wenn sich die verursachenden Lebensbedingungen verbessern. Aber 85 Prozent der kleinen Patienten mit sekundärer Enuresis werden sich über viele Jahre hinweg mit dieser Erkrankung auseinandersetzen müssen.
Behandlung von Enuresis
Je nach Ausprägung gibt es verschiedene Therapieansätze. Handelt es sich um eine sekundäre Enuresis, steht eine psychologische Behandlung im Vordergrund. Bei primärer Enuresis hingegen stehen Medikamente wie beispielsweise Minirin zur Verfügung. Der aktive Wirkstoff Desmopressin hilft bei der Regulation des ADH-Spiegels. Das ADH ist in der Medizin als Antiwasserlasshormon bekannt. Sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene gesund, reguliert das ADH die nächtliche Urinproduktion, durch eine zeitlich begrenzte Verminderung. Kinder mit primärer Enuresis weisen oftmals einen sehr geringen ADH-Spiegel auf. Aufgrund dessen gleicht die nächtliche Urinproduktion der Menge, die während des Tages hergestellt wird. Damit ist die primäre Enuresis nicht mit einer verminderten Fähigkeit der kindlichen Blasenkontrolle zu begründen. Vielmehr handelt es sich um einen hormonell bedingten nächtlichen Überschuss an Urin. Weltweit konnten bereits 13 Millionen der jungen Patienten mithilfe einer medikamentösen Therapie nachhaltig geheilt werden. Der therapeutische Erfolg liegt weltweiten Statistiken zur Folge bei 80 Prozent.
Praktische Tipps für Eltern
Bei dieser Erkrankung steckt kein kindlicher Mutwille dahinter. Folglich sind Anschuldigungen seitens der Eltern und Beziehungspersonen nicht zweckmäßig.
Es hilft dem Kind nicht, plötzlich wieder Windeln während des Nachtschlafes zu verwenden. Hier besteht die Gefahr, dass die Erkrankung nie therapiert werden kann.
Immerhin leiden noch ein Prozent aller Jugendlichen und Erwachsenen unter Enuresis. Eine gezielte Reduzierung der täglichen Trinkmenge oder gar Flüssigkeitsentzug ab den Nachmittagsstunden schadet vielmehr, als das sie die Beschwerden lindern könnte. Es kann vereinzelt sinnvoll sein, circa 30 bis 60 Minuten vor der Bettruhe nichts mehr zu trinken.
Für das Kind ist es eine Strafe, wenn es die nassen Betttücher tagtäglich selbst wechseln muss. Diese Missempfindung sollte durch einen verständnisvollen Umgang mit der Situation vermieden werden. Im anderen Fall wird das kindliche Selbstbewusstsein ungünstig beeinflusst. Ebenso gilt dies für abwertende Kommentare seitens der Eltern.
Sollte sich elterlicher Unmut oder gar Hoffnungslosigkeit bemerkbar machen, ist diese nicht im Beisein des Kindes oder gegenüber Geschwisterkindern zu äußern. In diesem Fall empfiehlt sich vielmehr ein Gespräch mit dem behandelnden Kinderarzt oder alternativ das Aufsuchen einer Beratungsstelle. Vereinzelt bieten Sozialpädagogen oder Psychologen direkt im Spital eine Sprechstunde an. Beispielsweise bietet das Wiener Donauspital eine spezielle Enuresis Sprechstunde an.
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